Wie genau entsteht Angst im Gehirn?
Viele Menschen wissen, dass Angst sich auf ein Objekt oder eine angsteinflößende Situation bezieht. Ob diese tatsächlich akut gefährlich sind oder Risiken beinhalten, ist nicht wichtig. Relevant ist, dass wir es so beurteilen – oder irgendwann einmal so beurteilt haben. Angst entsteht also auch durch eine falsche Sichtweise und entsprechende Befürchtungen. So entstehen Angststörungen und Phobien.
Wir wissen weiterhin, was bei Angst mit uns passiert. Wir befinden uns in einem Schockzustand. Wir zittern, die Knie werden weich. Wir sind wie gelähmt vor Angst, unfähig, zu reagieren. Wir spüren einen Fluchtinstinkt, haben Schweißausbrüche und geraten womöglich in Panik. Die Gedanken laufen Amok. Der Herzschlag rast, der Blutdruck steigt. Man fühlt sich einer Ohnmacht nah. Doch was passiert eigentlich im Gehirn, bevor die Angst jemanden in diesen Zustand versetzt?
Wie entstehen Ängste im Gehirn?
Notwendig ist ein Signal, das die Angstreaktion auslöst. Dieser Reiz wird an den Thalamus weitergeleitet. Der Thalamus besteht aus zwei Teilen und liegt im Zwischenhirn. Er wird als „Tor zum Bewusstsein“ angesehen. Er gibt das empfangene Signal an die Amygdala oder andere Hirnregionen weiter. Der Hippocampus ist eine zentrale Schaltstation im Gehirn. Hier kommen Informationen bei bestimmten Empfängern an, werden an Instanzen in anderen Hirnregionen weitergeleitet und ausgewertet. Der Hippocampus liegt im limbischen System.
Die Amygdala – auch Mandelkern genannt – ist ein weiterer Bestandteil des limbischen Systems (und der Antwort auf die Frage Wie entsteht Angst im Gehirn?). In dieser Funktionszentrale des Gehirns werden Emotionen verarbeitet. Hier wird außerdem das Triebverhalten gesteuert. Forscher vermuten, dass auch die intellektuellen Leistungen hier verankert sind. Die Amygdala ist die zuständige Gehirn-Einheit, wenn Emotionen und Gefühle auswertet werden sollen. Dazu gehören vor allem die Angst, die Furcht oder die Panik.
Wird nun über den Thalamus ein entsprechendes Signal an die Amygdala weitergeleitet, reagiert diese ähnlich wie ein Computer: Sie bewertet das Signal. Sie vergleicht es mit früher empfangenen Signalen und eventuell abgespeicherten Erfahrungen. Gegebenenfalls löst die Amygdala einen innerkörperlichen Alarmzustand aus. Das hat eine vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen zur Folge. Der Körper wird mit Adrenalin oder Noradrenalin geflutet. Als Folge der vermehrten Stresshormon-Ausschüttung treten nun Gefühle wie Aggression, Wut, Panik oder Trauer auf.
Darauf reagiert nun der Organismus. Er entwickelt wegen der ausgeschütteten Stresshormone Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Schweißausbrüche, Herzrasen und Schwindel. Währenddessen meldet die Amygdala der Großhirnrinde ihre Erstdiagnose. Damit meldet sie aber nur eine vorläufige Einschätzung der Situation. Seit Urzeiten sind Menschen darauf programmiert, bei Gefahr die Wahl zwischen zwei Alternativen zu haben: Flucht – oder Kampf.
Kampf ist eine Flucht nach vorn. Jemand geht in den Angriffsmodus, der jedoch der eigenen Verteidigung dient. Der Fluchtimpuls versucht, den Betroffenen aus der Gefahrenzone zu entfernen, um einen ungleichen Kampf zu vermeiden. Für die frühen Menschen gab es oft nur diese Alternativen. Diese beiden Impulse sind bis heute tief in uns verankert. Kommt jedoch nun der präfrontale Cortex zu dem Schluss, dass überhaupt keine Gefahr besteht, meldet er diese Information an die Amygdala.
Alles beruhigt sich. Der Alarmzustand im Gehirn legt sich wieder. Die körperlichen Angstreaktionen lassen nach. Ohne diese biochemische Meldekette würde niemand von Angst gepeinigt werden.
Könnte es ein Leben ohne Angstreaktionen geben?
Angst kann ein verunsichernder Zustand sein, wenn die Angst sich verselbstständig. Das ist jedoch als Störung in der Meldekette anzusehen. Wodurch entsteht diese? Die Meldungen von Gehirnbereich zu Gehirnbereich könnten ohne die Mitwirkung von Botenstoffen – sogenannte Neurotransmittern – und deren Rezeptoren gar nicht erfolgen.
Neurotransmitter sprechen die Kontaktstellen (Synapsen) von neuronalen Nervenzellen an. Sie vermitteln Botschaften und Signale zwischen diesen. Einer dieser Botenstoffe ist das Dopamin, ein anderer das Serotonin. Dopamin wird oft als Glückshormon bezeichnet. Das ist aber mit Blick auf die Amygdala nicht alles, was Dopamin bewirkt. In der Amygdala sorgt eine hohe Dopamin-Ausschüttung nämlich für eine heftigere Angstreaktion. Fehlt es derweil an Serotonin, entstehen innere Unruhe, Nervosität, Angst, Depressionen oder Aggressionen. Eine gestörte Informationsübermittlung kann also auf einem Dopamin-Überschuss und einem Serotoninmangel beruhen.
Forscher arbeiten seit vielen Jahrzehnten daran, solchen Schlüsselmechanismen auf die Spur zu kommen. Die Balance der Botenstoffe spielt eine wichtige Rolle bei Angststörungen, für die Auslösung von Panikattacken, Aggressionen oder Depressionen. Die Vorgänge im Nervensystem und im Gehirn sind inzwischen mit die am besten erforschten Gebiete in der Medizin. Man weiß heute durch Tierstudien, dass selbst kleinste Verletzungen am Mandelkern (Amygdala) genügen, um das Verhalten eines Labortieres vollständig zu verändern. Aggression kann dadurch beruhigt, Angst in Neugier verwandelt werden.
Durch eine elektrische Stimulation von winzigen Zellverbänden in der Amygdala kann aber auch gegenteiliges Verhalten ausgelöst werden. Es kommt darauf an, welcher Bereich im Mandelkern stimuliert wird. Die Antwort auf die Frage in der Überschrift lautet: Solange es den Hippocampus, den Thalamus, die Amygdala, das limbische System und die Botenstoffe im Organismus gibt, werden wir nicht ohne die durch sie ausgelösten Gefühle leben können. Also auch nicht ohne Angstreaktionen.
Der Grund dafür: Angst ist ein lebenswichtiges Signal – wenn sie sich auf ein tatsächlich gefährliches Objekt bezieht. Bei einer Fehlinterpretation oder einem Fehlalarm im limbischen System kommt es zu Angststörungen. Die weitergeleiteten Reize lösen dann auch ohne reale Gefahr erhöhten Blutdruck, Schweißausbrüche und schnelleren Herzschlag und Herzrasen aus.
Wie entsteht Angst im Gehirn noch?
Wir haben nun den rein biochemischen Reaktions-Mechanismus verinnerlicht. Aber ist eine als Gefahr wahrgenommene Situation tatsächlich immer gefährlich?
Jeder weiß, dass das nicht der Fall ist. Im Dunkeln kann jemand ein herumliegendes Seil für eine Schlange halten – und der Körper reagiert auf diesen Gedanken. Die weitergeleiteten Reize im Gehirn sorgen für die entsprechenden Panik-Reaktionen im Organismus. Es gibt ein Bewertungskriterium, das eine wichtige Rolle spielt, wenn die Meldekette in Gang gesetzt wird: unsere Konditionierungen. Konditionierung bedeutet, durch erlerntes Verhalten automatisch und reflexhaft auf einen Reiz zu reagieren.
Bei dieser klassischen Konditionierung hat man keinen bewussten Einfluss auf die erfolgende Reaktion. Sie erfolgt in Sekundenschnelle und automatisch. Forscher kennen außerdem die instrumentelle (operante) Konditionierung. Diese Art der Konditionierung richtet sich nach dem Erfolg, der durch eine bestimmte Reaktion auf wahrgenommene Reize erzielt wurde. Manche Reaktionen im Nervensystem und im Gehirn sind also erlernt.
Gehirnforscher wissen, dass jeder Mensch im Gehirn neuronale Spuren anlegt. Manche sind so tief eingefräst, dass man sie neuronale Autobahnen nennt. Unsere gewohnheitsmäßigen Reaktionen landen automatisch in dieser Spur-Rille. Legen wir jedoch bewusst eine neue Reaktions-Spur in den Neuronen an und lassen unsere Reaktionen nicht mehr in der alten Spur verlaufen, schleift sich mit der Zeit ein neues Reaktionsmuster in den Neuronen ein. Die alte neuronale Autobahn wird stillgelegt.
Das bedeutet: Alles, was erlernt und in bestimmten Hirnregionen abgespeichert wurde, kann auch wieder verlernt werden.
Der Blick auf angeborene und konditionierte Ängste
Unsere Ausgangsfrage war: Wie entsteht Angst im Gehirn? Wir haben gesehen, dass Ängste durch eine biochemische Meldekette entstehen, die aufgrund der Wahrnehmung eines Reizes erfolgt. Meldekette und Reflex erfolgen in Sekundenschnelle. Außerdem haben wir verstanden, dass Ängste teils vollautomatisch und reflexhaft erfolgen. Sie können außerdem konditioniert – also erlernt worden – sein.
Interessant ist, dass manche Reize schon von Geburt an unser Nervensystem alarmieren, während andere dies nicht tun. Der auslösende Reiz kann ein Geruch oder ein Geräusch sein, aber auch ein Objekt oder ein Gefühl. Es genügt bereits die erste Wahrnehmung solcher Reize, um eine Angstreaktion auszulösen. Andere Ängste werden erlernt. Aus Sicht der Evolution sind sowohl die angeborenen wie auch die erlernten Ängste wichtig. Beide können sogar lebensrettend sein.
Es kommt aber vor, dass bestimmte Reizauslöser zunächst neutral oder positiv bewertet wurden – und zu einer anderen Zeit plötzlich eine Negativbewertung erhalten. In diesem Fall wurde durch ein negatives Erlebnis oder eine fehlgeleitete Assoziation erlernt, dass der Reiz auch eine Gefahr beinhaltet. Ob das stimmt, ist nicht immer gesagt. Speichert das Gehirn jedoch ab, dass es irgendwann Gefahrenmeldungen gab, können diese durch weitere Negativ-Assoziationen Ängste auslösen.
Mehrere Reize und Alarmmeldungen koppeln sich miteinander. Sie führen dann zu einer neuen Interpretation der Situation.
Quellen
- youtube.com/watch?v=elEzI8wDhBs
- so-gesund.com/aengste/
- dasgehirn.info/denken/emotion/der-schaltkreis-der-angst
- de.wikipedia.org/wiki/Limbisches_System
- memucho.de/Angstkonditionierung/950
- spektrum.de/magazin/das-gedaechtnis-fuer-angst/821739