ICD 10 – die Klassifizierung von Krankheiten
Alle Diagnosen über Krankheiten, psychische Störungen und andere Gesundheitsprobleme werden heutzutage gemäß dem ICD10 als verschlüsselte Ziffern auf einem Krankenschein notiert. Mit dem Begriff „ICD 10“ wird ein medizinisches Klassifizierungssystem bezeichnet, das seit 1994 in seiner zehnten Revision vorliegt. Mittlerweile existiert die elfte Überarbeitung, das ICD 11.
Das Kürzel „ICD“ bezieht sich auf den englischen Begriff „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems„. Ins Deutsche übersetzt bedeutet das „Internationale statistische Klassifikation von Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen“.
Die Idee und Ausführung der Systematisierung, Kodierung und Verschlüsselung sämtlicher bekannter Krankheiten, Störungen und Gesundheitsprobleme geht auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück.
Die Entwicklungsgeschichte des ICD 10
Wie komplex so ein Klassifizierungssystem ist, belegt die lange Überarbeitungsdauer. Es dauert jeweils mehrere Jahre, bis die erweiterte und korrigierte Basisversion durch die Weltgesundheitsorganisation erstellt wurde. Jede Ziffer im Diagnoseschlüssel wird auf den aktuellen medizinischen Forschungsstand und geltende medizinische Paradigmata hin überprüft. Danach beginnen die einzelnen WHO-Länder, ihre nationalen Versionen des neuen ICD-Diagnoseschlüssels zu erstellen. Die Revision des neuen Diagnoseschlüssels kann daher bis zur landeseigenen Zulassung und der Ablösung des vorigen Diagnoseschlüssels nochmals mehrere Jahre dauern.
Begonnen wurden die Arbeiten an der zehnten Auflage des ICD schon im Jahr 1983. Doch erst 1994 konnten alle Mitgliedsländer die erweiterte und den nationalen Paradigmata angepasste Klassifizierung aller Erkrankungen nutzen. Der Problempunkt aller ICD-Versionen ist, was genau ein Land in so ein Klassifizierungssystem einfließen lassen möchte. Darüber haben verschiedene Staaten eigene Ansichten. Entsprechend werden die von der WHO entwickelten Kodierungen in der ICD-Basisversion abgeändert. Daher hat die von der WHO entwickelte Basisversion des ICD10 mit 14.000 verschiedenen Codes deutlich weniger Einträge als beispielsweise die ICD10-Version der Amerikaner mit über 70.000 Kennziffern. Einer der Gründe für diesem Umstand ist darin zu sehen, dass in den 50 Bundesstaaten der USA viele Krankheiten bekannt sind, die bei uns (bisher) keine Rolle spielen. Daher wird die deutsche ICD-Version gegebenenfalls von solchen Codes befreit.
Beispiele für ICD 10 Diagnosen:
Von der WHO-Basisversion zur landeseigenen ICD-Version
Die Weltgesundheitsorganisation veröffentlicht jeweils die Basisversion des ICD 10. Neue Diagnosen für bisher nicht eingeflossene oder unter anderen Kennzahlen mit erfasste Krankheiten und Störungen wurden eingearbeitet. Dadurch werden beispielsweise bisher strittige Krankheitsbilder als eigenständige Erkrankungen anerkannt.
Einige Länder überarbeiten und erweitern diese ICD-Version anschließend, weil sie andere Ansprüche an den Diagnoseschlüssel haben. Manche Staaten ordnen zum Beispiel bestimmte Erkrankungen anders ein. Sie sehen sie beispielsweise nicht als psychische Störungen an, sondern als organische, auto-immunologische oder virusbedingte Krankheiten. Daher erweitern und ändern solche Länder die Zuordnungen der Basis-Einträge. Sie können die neue WHO-Version durch optionale Unterklassifizierungen erweitern. Die Ergänzungen können zum Beispiel Hinweise auf die Erkrankungsursachen, verschiedene Manifestationen bestimmter Erkrankungsbilder sowie Hinweise auf Schwere und Art von Verletzungen, psychischen Störungen oder Erkrankungen beinhalten.
Am Ende stellt der erweiterte und den nationalen Standards angepasste Diagnoseschlüssel eine umfassende Revision des vorherigen Diagnoseschlüssels dar. Die nun im ICD 10 enthaltenen Kennziffern sind dann bindend für die Diagnostik. Und das hat Folgen. Die Kennziffern in der ICD Klassifikation entscheiden beispielsweise darüber, ob eine Krankenkasse die Behandlungskosten für eine Krankheit/Störung übernimmt. Mediziner müssen für Störungen, Verletzungen oder Krankheiten einen Code ermitteln, der für ihre Abrechnung relevant ist. Dabei müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden – zum Beispiel, ob es um eine anamnestische Diagnose bzw. Akut-Erkrankung oder eine Dauerdiagnose für chronische Krankheits-Verläufe geht. Die Kennziffern entscheiden auch darüber, ob eine Erkrankung als psychisch, psychosomatisch oder somatisch angesehen wird.
Weitere Beispiele für ICD10 Diagnosen:
Warum wird der ICD 10 hierzulande weiter genutzt?
Diese Frage ist berechtigt. Im Prinzip gilt seit Januar 2022 schon die WHO-Basisversion des ICD 11. In Deutschland wird aber trotz der abgeschlossenen Revision des ICD10 zum ICD11 weiterhin die Klassifizierung nach dem ICD10 angewendet. Die überarbeitete elfte ICD-Version wird später als „ICD11 GM“ bezeichnet. GM steht für „German Modification“.
Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) bezeichnete zum Jahresbeginn die neue nationale ICD-Ausgabe als noch in Arbeit befindlich. Es wird Schätzungen zufolge noch etwa fünf Jahre Arbeit am ICD11 benötigen, bis die Codierung von Erkrankungen und die Auswahl der bei uns bekannten Krankheiten samt aller dazu notwendigen Einträge abgeschlossen ist. Alle Diagnosen werden in Deutschland also wie bisher nach dem ICD10 vorgenommen.
Welche Bedeutung das im Einzelfall haben kann, macht die Erkrankung durch das SARS Covid 19-Virus mitsamt der Folgeerkrankungen Post Covid und Long Covid bzw. CFS/ME deutlich. Diese durch das Corona-Virus ausgelöste Krankheit ist mitsamt ihrer Folgeerkrankungen noch nicht als eigenständiges Krankheitsbild im ICD 10 enthalten. Der Grund: Die Art und die Massivität der Pandemiefolgen wurde erst nach Abschluss der ICD10-Revision erkennbar. Nun sind aber CFS/ME bzw. das „Chronical Fatigue Syndrome“ und die „Myalgische Enzephalomyelitis“ bereits als mögliche Folge bestimmter Viruserkrankungen im ICD10 enthalten. Bisher fehlt jedoch der klare Bezug zum SARS Covid-19-Virus. CFS wird seitens vieler Mediziner bisher unklaren Ursachen zu geordnet. Manche halten die chronische Fatigue für psychisch bedingt. Andere führen sie auf eine möglicherweise im Stillen durchlaufene Viruserkrankung oder eine auto-immunologische Störung zurück. ME wurde in den vergangenen Jahren häufig als Folge von Zeckenbissen angesehen oder mit falschen Diagnosen belegt. Dabei sind beides schwere, eigenständige neuroimmunologische Erkrankungen. Diese werden im ICD 10 als CFS/ME zusammengefasst. Die Fatigue ist dabei nur eines der Symptome, die diese neurologische Erkrankung auslöst. Ähnliches ist bei Long-Covid-Patienten zu beobachten. Daher wird auch für die oft das Begriffspaar CFS/ME verwendet. Ob das so haltbar ist, ist aber derzeit gar nicht klar. Da Erschöpfungszustände mit der Bezeichnung „chronische Fatigue“ aber auch bei Chemotherapie-Patienten oder als Folge einer schweren Depression auftreten können, gibt es hier erhebliche Unklarheiten und begriffliche Unschärfen. Revisionen und Erweiterungen der medizinischen Diagnoseschlüssel machen also Sinn. Wegen der langen Überarbeitungszeiten der ICD-Diagnoseschlüssel ergeben sich zwangsweise diagnostische Unschärfen. Trotzdem müssen alle Gesundheitsprobleme irgendwo eingeordnet werden, unabhängig vom Bearbeitungsstand der nationalen Diagnoseschlüssel.
Weitere ICD 10 Diagnosen
Was unterscheidet diagnostische Diagnosen von Dauerdiagnosen?
Eine anamnestische Diagnose kann vorläufig sein. Sie kann einen akuten Infekt oder Infarkt betreffen. Dauerdiagnosen sind beispielsweise durch eine chronische Problematik wie Diabetes, nach Infarkten zurückbleibende Herzmuskelschäden oder Long Covid gegeben. Der Unterschied zwischen anamnestischen und Dauerdiagnosen klingt zunächst simpel. Der Umgang damit kann aber komplex werden. Wenn Diagnosen für die Weiterbehandlung relevant werden, können sie sowohl als Dauerdiagnosen wie als anamnestische Diagnosen bezeichnet werden.
Die Software im Praxisverwaltungssystem kann den Arzt dann um Überprüfung bitten, falls für ein bestimmtes Erkrankungsbild wie den akuten Herzinfarkt eine Dauerdiagnose als unzulässig gilt. Der Arzt kann dann einen akuten Myokard-Infarkt, der eine Weiterbehandlung erfordert, unter der entsprechenden Ziffer als bereits früher erfolgten Myokard-Infarkt eintragen und damit zu einer Dauerdiagnose machen. Damit können gegebenenfalls Kosten für bereits vorgenommene Untersuchungen und Behandlungen aus dem vorigen Quartal in die Abrechnung übertragen werden. Die Verschlüsselung von Krankheiten ist mittlerweile so komplex, dass die Wahrscheinlichkeit falscher oder für die Abrechnung ungünstiger Zuordnungen hoch ist. Bei jeder Quartals-Abrechnung werden alle im Praxisverwaltungssystem eingetragenen Dauerdiagnosen aufgelistet. Sie werden automatisch ins Abrechnungsformular übertragen. Voraussetzung ist, dass sie im Abrechnungszeitraum durch Medikamentenverschreibungen und Monitoring-Termine abrechnungsfähig waren. Der Arzt muss dann nur noch die jeweils vorgenommenen anamnestischen Diagnosen, die im Quartal eine Relevanz hatten, mit entsprechender Kodierung nachtragen.
Klar ist, dass chronisch Kranke eine ganze Latte von Ziffern in ihrer Krankenakte aufweisen können. Im Grunde müsste jeder Arzt die Codes sämtlicher Krankheiten seiner Patienten alle paar Jahre überprüfen. Es ergeben sich durch die Häufung oft Widersprüche. Manche Diagnosen sind durch das Fortschreiten oder die Behandlung der Krankheit nicht mehr aktuell. Ob diese Bereinigung angesichts der Arbeitsüberlastung der Mediziner immer geschieht, ist aber fraglich. Daher muss auch die Praxissoftwares regelmäßig überarbeitet und den Bedürfnissen der Praxen angepasst werden.