F48.1 Diagnose laut ICD10 erklärt

F48.1 Diagnose - Depersonalisationssyndrom und Derealisationssyndrom (© 1STunningART - stock.adobe.com)
F48.1 Diagnose - Depersonalisationssyndrom und Derealisationssyndrom (© 1STunningART - stock.adobe.com)

Bedeutung der Diagnose F48.1 laut ICD 10 > Die Diagnose F48.1 in den Händen zu halten, bedeutet an einem Depersonalisations- und Derealisationssyndrom zu leiden. Dabei handelt es sich um eine relativ seltene Störung. Diese kann unterschiedliche Dauer und Schweregrade haben. Die Betroffenen erleben die Realität anders als zuvor. Damit ist die Derealisation verwirklicht. Die Depersonalisation meint, dass zusätzlich auch die Selbstwahrnehmung verändert ist.

Manche Menschen erleben solche Störungen in seelischen Krisen, ohne dass sie einen Arzt hinzuziehen müssen. Die Störung löst sich mit dem Ende der Krise von selbst wieder auf. Bei anderen Menschen ist das ohne psychologische Hilfe aber nicht der Fall. Wer sich selbst und seine Umwelt über längere Zeit als unwirklich, verflacht, Science-Fiction-artig und fremd erlebt, sollte psychologische Hilfe in Anspruch nehmen.

Der Beginn und die Diagnose solcher Störungen

Auch wenn die von einer Derealisations- und Depersonalisationsstörung betroffenen Menschen meist erst mit dem Erwachsenenalter eine Behandlung anstreben, können die Wurzeln für die Erkrankung bereits viel früher liegen. Oftmals beginnen solche Störungen unbemerkt. Die Anfänge deuten sich bereits im Kindesalter an.

Leider erkennen auch Fachleute die Anfänge von Derealisations- und Depersonalisationsstörungen nicht leicht. Oftmals werden von den Betroffenen nämlich nicht die typischen Symptome geschildert. Die Depersonalisation drückt sich häufig in Ängsten, Panikgefühlen oder Depressionen aus. Die Episoden einer Depersonalisation können einige Sekunden dauern oder über Jahre anhalten. Zu einer Depersonalisation kann es auch durch lebensbedrohliche Situationen an Kriegsschauplätzen, bei schweren Unfälle oder Gewalterfahrungen kommen. Das nachfolgende Trauma kann mit solchen Wahrnehmungsstörungen beantwortet werden.

Meist ist eine Psychotherapie unerlässlich, um den Betroffenen von seiner Wahrnehmungsstörung zu befreien. Dass das immer zur Gänze gelingt, ist nicht gesichert. Doch viele Patienten können sich im Falle des Scheiterns mit den verbleibenden Derealisations- und Depersonalisationsstörungen arrangieren. Sie fühlen sich nach der Therapie auf jeden Fall deutlich besser.

Was sind die Symptome von F48.1?

Einen Teil der Beschwerden und veränderten Wahrnehmungen haben wir eben beschrieben. Die gewohnte Wahrnehmung der Welt und auch der eigenen Person ist plötzlich verzerrt. Die Umwelt kann wie im Kino wirken. Sie wirkt fremd und hat plötzlich nichts mehr mit einem zu tun. Alles wirkt nicht mehr mehrdimensional, sondern irgendwie farblos und stumpf. Andere Menschen wirken wie Fremdlinge oder ferngesteuerte Automaten.

Außerdem sind die Emotionen verflacht. Die Betroffenen fühlen sich, als hätten sie sich ihrer selbst entfremdet. Sie sind losgelöst vom eigenen Denken, von ihrem Körper oder die reale Welt wirkt plötzlich fremdartig. Diese Erfahrung ist so dramatisch wie traumatisierend. Die Betroffenen sind aber nicht verrückt. Sie nehmen die Veränderungen ihrer Wahrnehmung bewusst wahr. Sie wissen, dass ihre Wahrnehmungen nicht der Realität entsprechen.

Diese Menschen sind unter normalen Umständen durchaus in der Lage, normal zu fühlen und empfinden. In diesem Moment liegt aber eine Depersonalisations- und Derealisationsstörung vor, die das normale Empfinden aushebelt. Solche Störungen treten im Rahmen depressiver, phobischer, schizophrener Störungen oder von Zwangsstörung auf. Es liegen also meist zwei psychische Störungen oder Erkrankungsbilder vor. Das erschwert oft die Behandlung. Daher hat man sich geeinigt, dass die Diagnose behandelt wird, die aus Sicht des Betroffenen eine höhere Dringlichkeit hat.

Eingeordnet wird die Diagnose F48.1 in den ICD-10-Bereich „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“. Interessant ist aber, dass solche verfremdeten Wahrnehmungen auch bewusst herbeigeführt werden können. Das ist in verschiedenen Kulturen durch Trance-Zustände oder vertiefte Meditationstechniken der Fall. Von einer psychischen Störung kann hier natürlich nicht die Rede sein.

Die Ursache solcher Störungen

Das Derealisations- und Depersonalisationssyndrom (F48.1) führt zu einer Selbstentfremdung und einer verzerrten Wahrnehmung der Lebenswelt. Die Diagnostik muss alle anderen Störungen auf organischer oder psychischer Ebene ausschließen, bevor die Diagnose F48.1 gestellt werden kann.

Über die Ursachen gibt es zwar Theorien und wissenschaftliche Erkenntnisse. Es sind aber auch noch Fragen offen. Derzeit gehen die Mediziner von einer multifaktoriellen Verursachung aus. Es kommen also meist mehrere Auslösefaktoren zusammen. Vermutlich besteht bei den Betroffenen bereits eine Vorbelastung für solche Störungen, sei sie nun genetisch oder familiär. Dazu addieren sich Traumata oder Stress (z. B. Trauer, Scheidungskrieg, Unfall, Gewalterfahrungen). Als Auslöser für Depersonalisations-Derealisations-Syndrome gelten derzeit

  • Überforderung durch psychosoziale Belastungssituationen
  • Drogenkonsum (Cannabis, Ketamin, Halluzinogene wie Ecstasy)
  • durch THC ausgelöste Panikattacken
  • sogenannte Nahtoderfahrungen
  • emotionale Vernachlässigung
  • Schlafentzug wegen Folter oder durch andere Umstände
  • die Folgen bestimmter Vergiftungen
  • oder depressive Episoden und Panikerkrankungen.

Personen ohne eine Disposition für ein Derealisations- und Depersonalisationssyndrom erkranken in der Folge solcher Erlebnisse nicht an einer Derealisations- und Depersonalisations-Störung. Sie verfügen über mehr Resilienz und erfolgreichere Verarbeitungsstrategien. Oftmals werden auch Erfahrungen, die auf außerkörperlicher Ebene stattfinden, als Depersonalisation aufgefasst.

Die Klärung der Ursache beinhaltet die Untersuchung, ob es sich um eine primäres oder sekundär aufgetretenes Derealisations- und Depersonalisationssyndrom handelt.

Seit den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts stehen solche Störungen häufiger im Fokus der Wissenschaft. Dadurch haben sich verschiedene theoretische Ansätze ausgebildet, die Erklärungen abgeben sollen. Ohne im Einzelnen auf diese Ansätze einzugehen, sollen sie hier benannt werden. Diskutiert werden

  • die neurophysiologische Theorie von V. S. Ramachandran
  • neurochemische Theorien (fehlgeleitete Transmitterregulation)
  • serotonerge Effekte (z. B. durch den Missbrauch von Cannabis, LSD und Ecstasy)
  • glutamaterge Auswirkungen (z. B. Wirkung von Ketamin, Glutamat)
  • sowie Fehlregulationen von Opioid-Rezeptoren.

Kognitive Verhaltensmodelle, die sich an Angsterkrankungen orientieren, kommen bezüglich der Derealisations- und Depersonalisationsstörung nach ICD F48.1 zu anderen Ergebnissen, als die psychoanalytische Theorie, die auf Theorien von Siegmund Freud basiert. Freud sah die Ursache der Depersonalisation als schützenden Abwehrmechanismus an.

F48.1: Die Behandlungsoptionen bei Derealisations- und Depersonalisationsstörungen

Bisher wurde kein Medikament für die Therapie von Depersonalisations-Derealisationsstörungen entwickelt und zugelassen. Dennoch liegen bereits einige Studien vor. Deren Ergebnisse über die Behandlungserfolge mit bestimmten Pharmazeutika wrden veröffentlicht. Demnach versuchten die Mediziner, den Depersonalisations-Derealisationsstörungen mit

  • Fluoxetin (nicht wirksam)
  • Lamotrigin plus Benzodiazepin Clonazepam (teilweise erfolgreich)
  • Benzodiazepinen
  • oder Opiat-Antagonisten (widersprüchliche Ergebnisse)

zu beheben. Die Erfolge der bisher vorliegenden Studien waren in keinem Fall überzeugend genug. Zudem wurden auch andere Therapieversuche unternommen, beispielsweise mittels Elektrokrampf-Therapie (EKT) oder Elektrokonvulsions-Therapie, mittels Transkranieller Magnetstimulations-Therapie (TMS) oder Psychotherapie. Sie alle waren nur teilweise erfolgreich. Den Studien werden zum Teil Verfahrensfehler unterstellt.

Der Problempunkt für die Betroffenen ist, dass die Forschung zu diesen Störungsbildern noch nicht sehr weit gekommen ist. Bisher weiß man nur, dass es bei eher schwachen Krankheitsverläufen eine Heilung im Sinne einer völligen Symptomfreiheit geben kann. Meistens werden diese durch psychotherapeutische Maßnahmen erreicht. Bei mittelschweren und schweren Derealisations- und Depersonalisationsstörungen kann nur eine Symptomlinderung erreicht werden. Auch hier greift vor allem die Psychotherapie.

Zu Therapiebeginn sind Aufklärung und Psychoedukation sinnvoll. Der Patient soll verstehen, was mit ihm passiert ist und warum. Er erkennt spätestens jetzt, dass er nicht verrückt ist (vgl. Angst verrückt zu werden – Tipps) oder Wahnvorstellungen unterliegt. Ziel der Therapie ist die Entlastung von Ängsten und Depressionen. Im Weiteren stehen ein besseres Stressmanagement und Bewältigungsstrategien Inhalt der Therapie.

Wann immer sie sich überfordert und überlastet fühlen, entfernen sich solche Patienten von sich selbst. Sie erleben Depersonalisations- und Derealisations-Schübe. Das Ganze erhält irgendwann einen Automatismus. Die Patenten müssen folglich lernen, sich problematischen Situationen zu stellen, statt ihnen entfliehen zu wollen. Bekannt ist auch, dass Schlafmangel, Flüssigkeitsmangel oder eine ungesunde Ernährungsweise die Derealisations-Depersonalisations-Symptome verschlimmern können.

Manchmal helfen in solchen Momenten „Hallo-Wach“-Strategien, die den Patienten schlagartig in die Realität zurückholen: der Biss in eine Zitrone oder Chili, das Klatschen mit den Händen oder Ähnliches.

Wie können von F48.1 Betroffene mit der Störung leben lernen?

Manchmal können sich die Betroffenen schließlich mit den veränderten Wahrnehmungen arrangieren. Bei manchen Betroffenen ist der Leidensdruck nach dem erlernen hilfreicher Strategien nicht mehr groß. Die Betroffenen engagieren sich trotz ihrer Symptome oder beschäftigen sich. Ablenkung von den veränderten Wahrnehmungen der eigenen oder anderer Personen wird zum Teil vom Therapeuten als methodische Hilfe angeraten.

Es geht darum, in der Realität aktiv zu sein und die Gedanken immer wieder in die Realität zu lenken. Dadurch soll verhindert werden, dass sich Ängste und Besorgnisse hochschaukeln können. Entspannungsübungen scheinen hingegen bei Depersonalisation und Derealisation das genaue Gegenteil zu bewirken. Spaziergänge in die Natur wirken hingegen sehr gut als Ablenkung.

Therapieinhalt ist auch die Auseinandersetzung mit den möglichen Ursachen der Erkrankung. Traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend müssen verarbeitet werden. Bevor das aber möglich ist, muss der Betroffene seinen Stresslevel kontrollieren können. Er muss Strategien entwickeln, um seine Symptome besser zu managen. Er muss in der Lage sein, Gefühle und Emotionen wahrzunehmen. Er muss diese ausdrücken können und lernen, sie einigermaßen zu steuern. Nach der anfänglichen Stabilisierungsphase kann in der Therapie die Auseinandersetzung mit den auslösenden traumatischen Erfahrungen folgen.

F48.1 Diagnose - Depersonalisationssyndrom und Derealisationssyndrom (© 1STunningART - stock.adobe.com)
F48.1 Diagnose – Depersonalisations- und Derealisationssyndrom (© 1STunningART – stock.adobe.com)

Quellen und weiterführende Ressourcen:

Mehr auf dieser Website: