Hochsensibilität – die neue Ängstlichkeit und Empfindlichkeit?!

Hochsensibilität - Was kennzeichnet hochsensible Menschen (HSP)? Bin ich hochsensibel? (© Eigens / stock.adobe.com)
Hochsensibilität - Was kennzeichnet hochsensible Menschen (HSP)? Bin ich hochsensibel? (© Eigens / stock.adobe.com)

Hochsensibilität: Als HSP empfindsam den Alltag meistern

Hochsensibilität – ein besonderes Konstrukt

Das Erscheinung der Hochsensibilität wurde von Elaine Aaron Ende der Neunzigerjahre das erste Mal wissenschaftlich untersucht. Sie entwickelte Tests, Verfahren und Grundannahmen zu dieser Thematik. Die Forschung blieb nicht ohne Kritik, da insbesondere Themen wie Angst und Panik mit unterschiedlichen Kriterien untersucht wurden. Viele Menschen, die oft schon als Kind das Gefühl hatten, dass sie die Umwelt anders wahrnehmen, fragen sich jahrelang, bin ich hochsensibel?

Die Antwort auf diese Fragestellung ist ein komplexer Prozess der Diagnostik und Erkenntnis. In allen Kulturen und auch Tierreich gelten 15-20% der Lebewesen als hochsensibel. Die Anzahl der Personen mit dieser veränderten Wahrnehmung ist relativ hoch. Noch wird der Aspekt der Hochsensibilität noch nicht von allen Berufsgruppen im Gesundheitswesen anerkannt, zunehmend setzt sich aber die Überzeugung durch, dass es sich um ein wichtiges und hilfreiches Konzept handelt. Aus der Diagnose ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der Therapie und Behandlung, die die Lebensqualität der Personen mit HSP verbessert.

Bin ich hochsensibel?

Was kennzeichnet hochsensible Menschen (HSP)?

Anamnese und Diagnostik von Hochsensibilität

Häufig geht der Diagnostik Hochsensibilität ein jahrelanger Marathon durch verschiedene Arztpraxen voraus. Die Merkmale richtig einzuordnen, zu akzeptieren und die daraus resultierenden Handlungen in den Alltag zu integrieren ist ein komplizierter Ablauf. In vielen Fällen wird empfohlen einen Test in Bezug auf Hochsensibilität durchzuführen.

Die Testinstrumente, die aktuell verfügbar sind, orientieren sich an dem Original der Autorin Elaine Aaron. Allerdings führt die Durchführung dieser Diagnostik nicht immer zu der gewünschten Sicherheit. In der folgenden Internetquelle können Sie die Dokumentation eines Tests ersehen: http://hsperson.com/test/highly-sensitive-test/

Der Test entspricht aus wissenschaftlicher Sicht in einigen Bereichen nicht den Anforderungen, die an medizinische und psychologische standardisierte Untersuchungen gestellt werden. Dieser Test kann einen Hinweis auf eine vorhandene Hochsensibilität geben, das Ergebnis sollte aber immer mit einem Therapeuten reflektiert werden. Die Gefahr bei der Durchführung von einem Test in Bezug auf Hochsensibilität ist, dass die Ursachen der Symptome bei der Störung der Gefühle nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Folgende Ursachen sind bei hochsensiblen Menschen bekannt:

  1. Hochsensibilität als Folge eines traumatischen Erlebnisses
  2. hochsensibel durch eine genetische Veranlagung
  3. Lebensphasen in denen die Sensibilität gesteigert ist, z.B. Säuglinge, sterbende Menschen, Schwangerschaft etc.
  4. hochsensibel durch besondere Lebensumstände, z.B. Personen, die viele Nachtdienste leisten, sind nach ihren Arbeitsphasen offener für Reize
  5. Steigerung der Sensibilität durch das Praktizieren von Meditation oder anderen Formen des Achtsamkeitstrainings

Weitere interessante Informationen zu dieser Thematik sind unter folgendem Link zu finden: www.visionsschmiede.ch/artikel/310-diagnostik-im-bereich-der-hochsensibilitaet-eine-kritische-betrachtung-und-neue-loesungs-ansaetze

Symptome der Hochsensibilität

Nicht bei jedem, der unter Nervosität leidet und sich die Frage stellt „bin ich hochsensibel“ ist die Diagnose HSP folgerichtig. Nachfolgende Merkmale werden in Bezug auf hochsensible Menschen häufig genannt:

  1. das Gefühl von Reizen überflutet zu sein
  2. gesteigertes Schmerzempfinden
  3. sehr offen für neue Erfahrungen zu sein
  4. auf Anforderungen durch Reize mit Rückzug zu reagieren
  5. Nervosität
  6. Bedürfnis nach Rückzug und Ruhe, um die Impulse zu verarbeiten

Bei einigen psychiatrischen Diagnosen wie z.B. Beispiel Depression, Soziophobie, Grübelzwang oder Phobophobie treten ähnliche Symptome auf, die Therapie unterscheidet sich aber grundlegend. Personen, bei denen durch eine falsche Erkenntnis „Hochsensibilität“ eine psychiatrische Diagnose wie die der Depression verdeckt wird, erhalten verspätet oder gar keine wirksame Therapie.

Gefühle rund um das Thema hochsensibel sein, müssen mit den Fachkräften der Psychologie evaluiert werden. Auch eine Hochbegabung kann zu einer ähnlichen Problematik führen und sollte deshalb in die Differenzialdiagnostik mit einbezogen werden.

Persönlichkeitsfaktoren in Bezug auf hochsensible Menschen

Hochsensibel sein wird erst seit kurzem in der Psychologie als Konstrukt reflektiert. „Bin ich hochsensibel?“ ist eine Frage, die zunehmend häufiger in einer Therapie besprochen. Hochsensibilität ist keine Krankheit, sondern eine Variation der Wahrnehmung.

Hochsensibel und sehr empfindsam sein wird in der Psychologie mit folgenden Persönlichkeitsfaktoren in Verbindung gebracht:

  1. ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung
  2. introvertiert sein
  3. gewissenhaft sein
  4. emotionale Instabilität
  5. hohe Offenheit für neue Erfahrung
  6. Empathie empfinden (modifiziert nach Weinert, 2004)

Unter https://www.swr.de/swr2/wissen/broadcastcontrib-swr-11752.html sind weitere Informationen zu diesem Thema zu finden

Behandlung von Menschen, die als hochsensibel gelten

Da Hochsensibilität keine Krankheit ist, ist eine Behandlung und Therapie nur dann notwendig, wenn sich für Erwachsene oder junge Menschen eine Einschränkung im Alltag ergibt. Erwachsene fühlen sich in vielen Fällen chronisch erschöpft, sie sind schnell gereizt und übertrieben genervt und das in allen Lebensbereichen: im Beruf, in der Partnerschaft, in der Liebe und in der Interaktion mit Personen in ihrem Umfeld. Mädchen und Jungen, die hochsensibel sind haben Probleme eine angemessene Selbstliebe zu entwickeln.

Wenn ein Erwachsener die Frage „bin ich hoch sensibel“ mit Ja beantwortet, ist es auch möglich, dass er durch Veränderungen des Alltags das Leben meistern kann. Um gut durch den Tag zu kommen ist es sinnvoll entspannende und unterstützende Interventionen zu trainieren.

  1. Atemübungen zur Beruhigung
  2. Selbstliebe entwickeln
  3. Selbstwertgefühl entwickeln
  4. Die systematische Desensibilisierung, hier werden dosiert Reize angeboten und trainiert diese nicht in der bekannten Intensität wahrzunehmen.
  5. Auszeiten nehmen, um die einströmenden Impulse zu verarbeiten (Rühle, Zeitzen; 2017)

Arbeit und Interaktion mit hochsensiblen Menschen

Menschen mit hochsensibler Wahrnehmung sind in ihrer Beruflichkeit häufig besonderen Belastungen ausgesetzt: sie nehmen Lärm, Gerüche, Konflikte, Licht, Dunkelheit und Arbeitsdruck intensiv wahr und fühlen sich dadurch belastet. Arbeitskollegen und Vorgesetzte nehmen die Variation der Reizverarbeitung wahr und sind häufig irritiert. Beurteilungen bilden das Leistungsvermögen der Betroffenen nur unzureichend ab, Kollegen lassen Bemerkungen, wie „der ist aber empfindlich“ fallen, was den Menschen mit Hochsensibilität verletzt und die Merkmale weiter verstärkt. Bei der Integration in die Berufstätigkeit ist es besonders wichtig, unempfindlicher gegenüber Belastungen zu werden.

Stresserleben von hochsensiblen Menschen

„Bin ich hochsensibel“ ist eine Frage, die das Stresserleben dieser Personengruppe verstärkt. In Lebensphasen, in denen dieses belastende Erleben beobachtet wird, werden auch weitere Symptome, wie Ängstlichkeit und depressive Symptom-Komplexe wahrgenommen. Die Bewältigung des Stresserlebens ist deshalb ein Schlüsselkonzept zur Verbesserung der Lebensqualität.

Ängste und Depression

Hochsensible Menschen sind häufiger von Angststörungen und depressiven Erkrankungen betroffen. Dieses hat vielfältige Ursachen:

  • körperliche Gewalt in der Kindheit
  • seelische Vernachlässigung
  • Belastungen, die mir Stress einhergehen und langanhaltend sind
  • sexuelle Grenzverletzungen (vgl. auch den Artikel Angst vor sexueller Nähe)
  • negative Erfahrungen in der Bewältigung von Angsterleben verstärken die Symptome
  • Vermeidungsverhalten von Situationen, in denen die Belastung auftreten könnte
  • intrapsychische Konflikte, da viele HSP introvertiert sind, sind auch unterdrückte aggressive Impulse als Ursache anzunehmen.

HSP (highly sensitive person) und das Umfeld in der Kindheit

Die Erfahrungen in der Kindheit sind prägend für die Ausbildung einer psychischen Stabilität, der Reizverarbeitung und vieler persönlicher Überzeugungen. Nach einem Konzept des Autoren Antonovsky bildet sich eine persönliche Resilienz aus, die dabei unterstützt, dass Kinder und Erwachsene trotz psychischer Belastungen gesund bleiben.

Hochsensible sind stärker gefährdet, dass ihre Ressourcen für das gesund bleiben nicht ausreichen. Ist das Umfeld der Kinder nicht wertschätzend, empathisch, fördernd, fordernd, klar in der Kommunikation und dem Erziehungsverhalten, ist das Risiko erhöht, dass Hochsensibilität entsteht.

Als Kind hochsensibel empfinden

Das Kind kann die Frage „bin ich hochsensibel“ noch nicht selbst beantworten. Es benötigt die Beobachtung der Erwachsenen, damit die Merkmale richtig gedeutet werden können. Hochsensible Kinder behandeln erfordert viel Fingerspitzengefühl von Therapeuten. Merkmale variieren und sind je nach Entwicklungsphase intensiver oder weniger präsent. Die Gefühle der Kinder müssen immer Blickfeld der therapeutischen Mitarbeiter sein, um die jungen Menschen zu motivieren, an der Veränderung des Alltags mitzuarbeiten.

Hochsensibel in einer Partnerschaft leben

Hochsensible Menschen sind häufig wertschätzend und empathisch. Die besondere Wahrnehmung führt dazu, dass die Stimmung eines Partners verstärkt wahrgenommen wird. Dieses hat Vorteile, da Verstimmungen und Konflikte sehr frühzeitig erspürt werden. Allerdings sind die häufig benötigten Ruhephasen und die Empfindsamkeit auch manchmal eine Belastung für eine Partnerschaft. Wichtig ist den Partner über die Variation der Wahrnehmung zu informieren und dieses bei Konflikten als Normalität und nicht als Entschuldigung zu verwenden.

Keine Krankheit!

Auch wenn Hochsensibilität mit Beschwerden einhergeht, die eine Belastung darstellen können, ist es keine Krankheit, sondern eine Normvariante. Symptomkomplexe, die den Alltag erschweren, sollten mit psychotherapeutischen oder naturheilkundlichen Interventionen begleitet werden. Angstsymptomatik und depressive Verstimmungen sollten differentialdiagnostisch untersucht werden, damit andere relevante Erkrankungen nicht unentdeckt bleiben. Begeben sich Betroffene auf den bewussten Weg der Bewältigung einer Hochsensibilität ist ein Alltag mit einem hohen Maß an Lebensqualität möglich.

Hochsensibilität - Was kennzeichnet hochsensible Menschen (HSP)? Bin ich hochsensibel? (© Eigens / stock.adobe.com)
HochsensibilitätBin ich hochsensibel? (© Eigens / stock.adobe.com)

Literatur:

  • https://www.hochsensibel.org/dokumente/Broschuere.pdf
  • http://www.ciando.com/img/books/extract/3959352638_lp.pdf
  • Rühle, Hedda, and Sandra Maxeiner. „Hochsensible Menschen–Ich fühle was, was du nicht fühlst.“ ergopraxis 10.01 (2017): 30-33.
  • Weinert, A. B. „Organisations-und Personalpsychologie, 5. Auflage, 2004.“

Mehr auf dieser Website: