Antidepressiva absetzen: Wie und wann? | Erfahrungen, Symptome

Antidepressiva absetzen: Wie geht's am besten, wann, und was ist zu beachten? (© psdesign1 / stock.adobe.com)

Antidepressiva absetzen

Es gibt zwei Anlässe, bei denen jemand Antidepressiva absetzen möchte: zum einen kann vom Arzt angeordnet werden, dass das Medikament langsam ausgeschlichen werden soll. Zum anderen kann der Patient sich weigern, dieses wegen der Nebenwirkungen noch länger einzunehmen. Er möchte es einfach eigenmächtig absetzen. Das sollte er jedoch tunlichst unterlassen.

Darf man Antidepressiva einfach absetzen?

Ein Arzt wird niemals einen Patienten dazu drängen, von ihm verordnete Antidepressiva einfach abzusetzen. Der plötzliche Entzug der Wirkstoffe hätte fatale Auswirkungen auf die Psyche des Patienten.

Die meisten Antidepressiva müssen aus nachvollziehbaren Gründen ausgeschlichen werden. Moderne Medikamente dieser Klasse greifen in den Hirnstoffwechsel ein. Das bedeutet im Klartext: Kein Patient, der Antidepressiva erhält, darf diese eigenmächtig absetzen (vgl. auch: Sertralin absetzen, Mirtazapin absetzen). Moderne Antidepressiva und Psychopharmaka müssen wegen der drohenden Entzugssymptome in jedem Fall ausgeschlichen werden.

Wird das nicht beachtet, ist nicht nur der bisher erreichte Behandlungserfolg infrage gestellt. Die psychischen Symptome, wegen derer der Arzt konsultiert wurde, kehren zurück. Zusätzlich leidet der Patient noch unter erheblichen Entzugserscheinungen. Die möglichen Folgen dieses Absturzes kann niemand verantworten. Daher lautet die Antwort auf die oben gestellte Frage: Nein, man darf Antidepressiva niemals abrupt absetzen.

Als Grundregel gilt: Je höher die verordnete Dosis war und je länger der Patient mit einem bestimmten Antidepressivum behandelt wurde, desto langsamer und vorsichtiger muss der vom Arzt verordnete Prozess des Ausschleichens verlaufen (vgl. auch: Opipramol absetzen, Escitalopram ausschleichen).

Quellen:

  • doccheck.com/de/detail/articles/21846-antidepressiva-absetzen-und-abstuerzen
  • meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.761360
  • dasgehirn.info/aktuell/frage-an-das-gehirn/was-passiert-beim-absetzen-von-antidepressiva
  • youtube.com/watch?v=sfVRBgkQDKM
  • youtube.com/watch?v=KirFj2mTn48

Aus welchen Gründen können Antidepressiva ausgeschlichen werden?

Antidepressiva werden bei verschiedenen Erkrankungen wie Depressionen (siehe auch Depressionsarten), Angsterkrankungen (vgl. Medikamente bei Angststörung) oder chronischen Schmerzsyndromen verordnet. Sie gelten als Standardtherapie. Doch der ärztliche Plan ist nicht, Patienten lebenslang von solchen Medikamenten abhängig zu machen. Vielmehr soll die Erkrankung sich mit der Zeit bessern. Oftmals wird daher ergänzend eine Psychotherapie verordnet.

Entsteht beim behandelnden Arzt der Eindruck, die Beschwerden und der Zustand des Patienten haben sich gebessert, kann die Dosis des Medikamente etwas abgesenkt werden. Dann wird eine Weile beobachtet, ob der Patient gut damit zurechtkommt. Einige Wochen später wird bei weiterhin guter Verfassung eine neuerliche Dosisabsenkung verordnet. Dieser Prozess des Ausschleichens wird so lange beibehalten, wie alles im Lot bleibt. Stellen sich dabei aber Probleme ein, wird zunächst keine weitere Dosisabsenkung vorgenommen.

Weitere Gründe für das Absetzen bzw. Ausschleichen eines Antidepressivums sind Wirkungslosigkeit, zu starke Nebenwirkungen, erhebliches Übergewicht oder eine deutlich stabilisierte psychosoziale Situation. Ob ein Antidepressivum bei einer Schwangerschaft ausgeschlichen werden sollte, ist der individuellen Entscheidung des Arztes zu überlassen. Meist ist eine stabile psychische Situation anzustreben. Wurde der Ausschleichprozess bereits eingeleitet, entscheidet der Arzt, ob die derzeitige Dosis beibehalten oder weiter abgesenkt werden darf.

Quellen:

  • diepta.de/news/psychiatrie-wann-sollte-ein-antidepressivum-abgesetzt-werden
  • nau.ch/lifestyle/gesundheit/wann-soll-antidepressiva-abgesetzt-werden-65270915
  • gesundheitsstadt-berlin.de/absetzsymptome-bei-antidepressiva-wie-schwer-und-wie-haeufig-sind-sie-13832/
  • online-zfa.de/archiv/ausgabe/artikel/zfa-1-2018/49335-absetzen-von-antidepressiva-wie-vorgehen/

Wann ist das Ausschleichen von Antidepressiva nicht sinnvoll?

Bei einer erstmals aufgetretenen Depression oder Angststörung geht der behandelnde Arzt davon aus, dass sich der Zustand nach einem halben Jahr gebessert hat. Gibt es dafür Anhaltspunkte, wird das Medikament unter ärztlicher Aufsicht langsam ausgeschlichen. Anders ist es jedoch, wenn eine wiederholt aufgetretene reaktive Depression oder eine agitierte Depression mit Antidepressiva behandelt wurde. In diesem Fall ist fraglich, ob es eine so weitgehende Stabilisierung des Zustandes gibt, dass ein Ausschleichen gerechtfertigt wäre. Gleiches gilt für chronische Zustände. Vgl. auch: Opipramol ausschleichen.

Wird das Medikament gut vertragen und die Lebensumstände des Patienten haben sich unter der Einnahme des Präparates stabilisiert, gilt er als gut eingestellt. Es besteht kein Anlass, daran etwas zu ändern. Letzten Endes geht es bei der Behandlung mit solchen Medikamenten darum, dem Patienten zu mehr Lebensqualität zu verhelfen (siehe auch: innere Leere). Es macht also keinen Sinn, die verordneten Antidepressiva absetzen zu wollen. Man sollte dem Patienten dazu raten, es bei der regelmäßigen Einnahme der hilfreichen Dosis zu belassen.

Quellen:

Antidepressiva absetzen: Wie geht's am besten, wann, und was ist zu beachten? (© psdesign1 / stock.adobe.com)
Antidepressiva absetzen: Wie geht’s am besten, wann, und was ist zu beachten? (© psdesign1 / stock.adobe.com)

Warum möchten Patienten ihre Antidepressiva absetzen?

Viele psychisch kranke Patienten können ihren eigenen Zustand nicht richtig beurteilen. Sie erleben sich unter Einfluss eines Medikamentenwirkstoffes anders und glauben irgendwann, sie sind wieder gesund.

Es ist in diesem Fall nicht ganz einfach für den behandelnden Arzt, angesichts der Art der psychischen Erkrankung zu einem anderen Urteil zu kommen. Manche Menschen sind jedoch grundsätzlich gegen die Einnahme von Psychopharmaka eingestellt. Sie fürchten eine lebenslange Abhängigkeit durch die Dauermedikation oder unterstellen dem Arzt, sie für kränker zu halten als sie selbst es glauben. Tatsächlich ergab eine britische Studie, dass viele behandelnde Ärzte vorsichtshalber eine Dauermedikation vornehmen und für richtig halten. Sie verordnen also ein Psychopharmakon noch länger, obwohl bereits eine Besserung des psychischen Zustandes eingetreten ist.

Das belegt die britische ANTLER-Studie. Tatsächlich gibt es keine Hinweise darauf, dass Antidepressiva länger als ein Jahr lang Wirkung zeigen. Oft sind die Nebenwirkungen so belastend, dass eine Dauereinnahme nicht zu rechtfertigen ist (siehe auch: Sertralin Gewichtsabnahme, Sertralin Erstverschlimmerung). Die Bedenken mancher Patienten scheinen also durchaus berechtigt zu sein. Patienten, die von Rückfällen in die Erkrankung bedroht sind, verordnen die Ärzte aber besonders gerne medikamentöse Dauerbehandlungen. So berechtigt das scheint, ist der Erfolg dieser Maßnahme aus wissenschaftlicher Sicht nicht immer gesichert.

Trotzdem ist in jedem Fall eine Einzelentscheidung anzuraten. Manche Patienten kommen ohne ihre Medikamente einfach nicht klar. Bei einigen Patienten ist der psychische Zustand so instabil, dass sie bereits mehrere Psychotherapien und Klinikaufenthalte durchlaufen haben, ohne dass ihr Zustand sich nennenswert verbessert hätte. In diesem Fall sehen die behandelnden Ärzte keine Möglichkeit als eine dauerhaft stabilisierende medikamentöse Behandlung. Auch wenn es an Langzeitstudien zum Thema mangelt, ist oft keine Alternative zur Dauermedikation in Sicht.

Möchten solche Patienten ihre Antidepressiva absetzen, ist eine Verschlechterung ihres Zustandes zu erwarten. Ein psychischer Zusammenbruch wäre häufig die Folge. Werden die Antidepressiva zu früh abgesetzt, drohen zudem oft Rezidive. Dieses Risiko möchte kein Arzt eingehen. Fakt ist: Die Probanden der ANTLER-Studie, die ihre Antidepressiva abgesetzt hatten, erlitten zu 50 Prozent einen Rückfall. In der weiterbehandelten Vergleichsgruppe waren es nur 40 Prozent. Fakt ist, dass viele der Rückfall-Patienten sich anschließend weigerten, neuerlich ein Antidepressivum einzunehmen.

Daraus lässt sich schließen, dass bei vielen Betroffenen eine Langzeittherapie sinnvoll wäre. Zugleich können aber viele andere Patienten ihre Therapie unter ärztliche Aufsicht beenden und nach und nach die verordneten Antidepressiva absetzen. Es gibt also weiterhin kein klares Bild, das eine Standardempfehlung rechtfertigen würde. Jeder Fall ist und bleibt vorerst eine Einzelentscheidung. Rückfällen könnte allerdings auch durch kognitive Verhaltenstherapien und achtsamkeitsbasierte Therapie-Methoden vorbeugt werden. Das wäre bei vielen Patienten zumindest einen Versuch wert.

Quellen:

  • Antidepressiva ausschleichen
  • youtube.com/watch?v=ayYugLXNF3M
  • diepta.de/news/psychiatrie-wann-sollte-ein-antidepressivum-abgesetzt-werden
  • depression-heute.de/empfehlung-zwei-jahre-lang-antidepressiva-und-warum/
  • aponet.de/artikel/antidepressiva-mehr-rueckfaelle-nach-absetzen-einer-langzeittherapie-25036